100 Züge bis zum Top!

Hocherfreut und ausgepowert kehre ich aus unserem dreiwöchigen Klettertrip von Spanien nach Hause. Zusammen mit Bernie genoss ich den vollen wetterbedingten Kontrast zu unserem letzten verschneiten Griechenland-Trip mit täglichem Sonnenschein und einen weiteren 11er im Gepäck.

In den ersten Tagen versuchte ich in Santa Linya interessante Routen wie "Open your mind direct" oder "Fabela extension", beide im 11. Grad. Ich machte vielversprechende Fortschritte, doch da das Wetter zu warm wurde und kein Projektieren mehr zuließ, beschlossen wir nach Margalef zu wechslen.Eigentlich war es nicht mein Plan, die Route 'Era Vella' zu versuchen. Als ich jedoch den 50 Meter hohen Felsriegel sah, wollte ich unbedingt mal reinschnuppern. Beim ersten Auschecken vermisste ich die wirklich harten Stellen, die man üblicherweise in einer Route im 11. Grad vorfindet. Ich konnte jeden Zug und auch die Schlüsselstelle relativ rasch ausbouldern. "Gar nicht so schwer?", fragte ich mich. Aber der Schein trügt, denn die Route ist extrem steil und mit insgesamt mehr als 100 Zügen bis zum Top sehr ausdauernd. Daher brauchte ich drei Anläufe, damit ich mir aus den unzähligen Löchern die besten Griffe und Tritte heraussuchen sowie deren optimale Abfolge einprägen konnte.
Bei vielen meiner bisherigen schweren Routen war es stets die Crux für mich die schwierigsten Einzelzüge überhaupt zu schaffen. Bei ‚Era Vella‘ wurde mir schnell klar dass es darum gehen würde alle Passagen mit möglichst geringem Kraftaufwand klettern zu können. Vor allem bei der Schlüsselstelle brauchte ich ein paar Anläufe um mit einem schweren Kreuzzug eine für mich sichere Lösung zu finden.
Schnell wurde nun aus dem anfänglichen Schnuppern ein ernsthaftes Projekt, und mit dem bevorstehenden Ende des Trips erhöhte der Faktor Zeit den Druck zusätzlich. Ich teilte mir die Ausboulderversuche und die Rasttage gut ein, bis ich dann gut erholt meine Durchstiegsversuche anging. Dreimal kletterte ich bis in die Schlüsselstelle und zweimal scheiterte ich unglücklich bereits im unteren Teil an der Dachkante. Aber es kam der Tag, an dem mein Körper und Geist und auch die äußeren Bedingungen stimmten. Meine Bewegungen waren sicher und diesmal bewältigte ich die Schlüsselstelle. Die nächsten Metern waren ein Wechselspiel von gutgriffigen Rastpunkte und unsicheren kleingriffigen Passagen. Es war ein Kampf ums Durchhalten, die Unterarme brannten doch die Finger wollten selbst in der technischen Leistenpassage weit oben nicht loslassen. Als ich den Umlenker einhängte, empfand ich trotz kompletter körperlicher Ermüdung ein Gefühl der Freude und Erleichterung. Waaaaahnsinn! Meine 3. Route im 11. Grad ist geknackt!

Die Kletterei in Spanien war die beste Vorbereitung für meinen anstehenden Trip nach Griechenland. Ich kletterte ausschließlich schwere Routen an meinem Limit und schulte damit auch mein taktisches Verhalten und meine Strategie, an solche Projekte mit deadline in Form der Heimreise heranzugehen. Mit diesen Erfahrungen fühle ich mich nun gut gerüstet und kann es gar nicht mehr erwarten, die neu erschlossenen Routen in Griechenland erstzubegehen. Die Linien sind eindrucksvoll und ich bin schon sehr gespannt, wie sie sich klettern lassen werden.